Was Absolventen Personalern zu sagen haben
23 Jahre alt, Prädikatsexamen, mehrere halbjährige Praktika in Top-Konzernen, Auslandserfahrung und drei Sprachen fließend: sieht so der ideale Hochschulabsolvent für die Personaler der Unternehmen aus? Fakt ist: die Anforderungen an einen Hochschulabsolventen waren noch nie so hoch wie heute. Was wir den Personalern deshalb in Bezug auf ihre Erwartungen schon immer einmal sagen wollten, liest du hier!
Was die Personaler von Hochschulabsolventen erwarten
Der Weg in den Traumjob führt nur an ihm oder ihr vorbei: dem/der Personaler/in des Unternehmens, bei welchem du anfangen willst. Sich dieser Macht sehr wohl bewusst, stellen die Personaler einen Anforderungskatalog an die Hochschulabsolventen zusammen, der sich gewaschen hat. Nur mit einem soliden Studium und passablen Noten kommt man nicht mehr weit.
Stattdessen ganz oben auf der Liste der Personaler: praktische Erfahrung. Da ihnen diese im Studium zu kurz kommt, wird von den Studenten erwartet, dass sie sich selbstständig um Praktika oder Werkstudententätigkeiten kümmern, um dort praktische Kenntnisse zu erlernen. Sechs bis zwölf Wochen in den Semesterferien sind jedoch auch nicht genug, ein halbes Jahr in einem Großkonzern als Praktikant sollte es doch bitteschön gewesen sein. Mindestens!
Ebenfalls bei den Personalern gern gesehen sind Auslandserfahrungen. Ob Praktikum oder Auslandssemester ist da eher zweitrangig, Hauptsache es wurden ‘interkulturelle Kompetenzen’ erlangt und man hat weiterführende Sprachkenntnisse, die man vorweisen kann. Englisch fließend zu sprechen ist oftmals die absolute Mindestvorraussetzung, eine zweite Fremdsprache auf fortgeschrittenem Niveau gehört definitiv zum guten Ton. Obwohl laut den meisten Personalern die Regelstudienzeit eher nachrangig ist: je früher in den Arbeitsmarkt gestartet wird, umso besser.
Mit diesen Erwartungen an das Studium und die persönliche Weiterbildung geben sich die Personaler mittlerweile jedoch auch nicht mehr zufrieden. Es bleibt ja schließlich noch das Privatleben, an welches man Anforderungen stellen kann! Familienplanung stellt man bestenfalls erst einmal hinten an. Außerdem solltest du mit ehrenamtlichem Engagement und spannenden Hobbys im Lebenslauf punkten, damit man sich auch wirklich sicher sein kann, dass du eine interessante Persönlichkeit bist.
Was wir Personalern schon immer mal sagen wollten!
Ganz ehrlich liebe Personaler: ist das euer Ernst? Wart es nicht ihr, die vor ein paar Jahren getönt haben, wir bräuchten das Bachelor/Master System, damit die Hochschulabsolventen schneller auf den Arbeitsmarkt strömen? Und jetzt sind wir euch auf einmal zu unerfahren und nicht reif genug? Wer hätte das gedacht! In welcher Zeit hätten wir das denn bitte auch werden sollen?
Zwölf Jahre Abitur, abgeschaffte Wehrpflicht und ein Bachelorstudium auf drei Jahre gedrückt, damit wir auch schön früh fertig sind. Wo bleibt da bitte die Zeit, um sich selbst weiter zu entwickeln und die ganzen von euch geforderten Qualifikationen zu erwerben?
In drei Jahre verschultes Bachelorstudium mit vollen Stundenplänen und nervenaufreibenden Prüfungsphasen noch mehrere einschlägige Praktika und Auslandsaufenthalte zu quetschen, ist bei weitem kein Kinderspiel und so selbstverständlich, wie ihr euch das vielleicht vorstellt. Klar, man kann doch Urlaubssemester einlegen, mögt ihr argumentieren. Schließlich sind ein oder zwei Semester hinten dran gehängt ja kein Beinbruch.
Was ihr nicht sagt! Aber Ende zwanzig sollen wir beim Berufseinstieg doch bitte auch nicht sein. Das ein oder andere Urlaubssemester einzulegen, muss man sich zudem erst einmal leisten können. Denn da eure schön angepriesenen Praktika nämlich entweder völlig unentgeldlich oder absolut mies in Anbetracht unseres Arbeitsaufwandes bezahlt sind, kratzen wir in so einer Zeit am absoluten Existenzminimum. Durch den Wegfall unseres BAföGs in einem Urlaubssemester muss zudem der Großteil der Studierenden auf ihre wichtigste Einnahmequelle verzichten. Um dafür Vollzeit zum Nulltarif schuften zu dürfen, vielen Dank auch. Alles nur, damit wir uns später nicht vorhalten lassen müssen, zu wenig Praxiserfahrung mitzubringen.
Das gleiche Spiel ist es mit den Auslandssemestern. Sicherlich würden noch viel mehr Studenten gerne die Möglichkeit eines Auslandssemesters wahrnehmen, als es jetzt bereits sind. Doch gestaltet sich trotz eines möglichen Erasmuszuschusses die Finanzierung oft schwierig und werden in Deutschland die im Ausland abgeschlossenen Kurse nicht anerkannt, muss noch ein weiteres Semester hinten dran gehangen werden.
Eure Anforderungen sind realitätsfern
Liebe Personaler, euch passt es außerdem nicht, wenn wir uns in unserem Studium nicht ausreichend spezialisiert haben. Aber ich frage ich euch: habt ihr euch mal die streng getakteten Modulhandbücher angeschaut und da großartigen Spielraum für Spezialisierungen und weiterführende Kurse entdeckt? Nein? Ich nämlich auch nicht. Durch die stets präsente Angst der angehenden Absolventen, nach dem Abschluss keinen Job zu finden, sehen viele ihre einzige Möglichkeit sich zu profilieren darin, die Regelstudienzeit einzuhalten, wenn nicht gar zu unterbieten und dabei auch noch Top-Noten hinzulegen. Neben diesem enormen universitären Aufwand bleibt kaum mehr Zeit für anderes. Schließlich wollen wir beim Jobeinstieg nicht zu alt daher kommen und uns rechtfertigen müssen, warum wir so lange für unseren Abschluss gebraucht haben. Es warten ja nicht sowieso noch Jahrzehnte vor uns, in denen wir arbeiten werden.
Was das für ein Resultat zur Folge hat, könnt ihr nun am eigenen Leib erfahren: eine große Masse hochqualifizierter Absolventen, viele davon kaum älter als 21 oder 22 und nicht gerade viel Lebenserfahrung auf dem Konto. Überraschung! Was habt ihr denn anderes erwartet, nach drei Jahren Turbo-Studium?
Deshalb möchtet ihr jetzt lieber wieder Menschen mit Ecken und Kanten, richtige ‘Typen’, die im Lebenslauf gut was vorweisen können. Ein ehrenamtliches Engagement seht ihr daher gerne, außergewöhnliche Hobbys oder Nebenprojekte dürfen es auch sein. Kein Problem! Das erledige ich dann alles gleich nach meinem Vormittag an der Uni, meinem Nachmittag im Praktikum, meinem Abend auf der Arbeit und nach meinen zwei Stunden Schlaf, die mir dann noch bleiben. Aber keine Sorge, top motiviert und gut gelaunt bin ich selbstverständlich trotzdem noch!
Auch meine Gehaltsvorstellungen sind natürlich bescheiden, schließlich muss ich ja froh sein, wenn ihr euch überhaupt dazu erbarmt, mich einzustellen. Zu viele Ecken und Kanten sollte ich nämlich auch nicht haben, denn dann könnt ihr mich ja nicht mehr so formen, wie es euch am besten passt. Darf’s sonst noch was sein?
Was sich dringend ändern muss
Mit diesem Anforderungswahnsinn muss Schluss sein. Warum müssen wir nach dem Abschluss bereits die komplett fertigen und perfekten Arbeitnehmer sein? Können nicht auch die Arbeitgeber uns Berufseinsteiger weitergehend fördern? Das Studium schafft schließlich nur die Grundlage und die Fähigkeiten zur Einarbeitung, diese muss dann jedoch von der unternehmerischen Seite her erfolgen. Stattdessen werden wir mit miesen Einstiegsgehältern und schlechten Arbeitskonditionen abgespeist. Wenn eure Praktika anständig bezahlt wären und ihr uns flexiblere Zeiten ermöglichen würdet, könnten vielleicht auch mehr Studenten euren Anforderungen an mehr Praxiserfahrung gerecht werden. Doch was am allerwichtigsten ist: macht euch klar, dass wir kein Material sind, sondern Menschen. Da darf man ruhig etwas unperfekt sein.
Bilder: baranq/shutterstock.com
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