Techno zwischen Hedonismus und Protest – Wissenschaft auf Festivals
Die Festivalkultur ist längst angekommen in Deutschland. Immer beliebter und ausgefallener werden dabei umweltfreundliche Festivals mit elektronischer Tanzmusik, die mehr sein wollen als ausgelagerte Drogentreffpunkte. In zahlreichen Doppeldeckerbussen werden dafür Jahr für Jahr Feierlustige mit entsprechenden Partyutenslilien, wie Ravestäben mit eigens kreiertem Totem, Glitzerstaub und Federn, in aufwändig erbaute und gestaltete bunte Zauberwälder à la Walt Disney abgeladen, die die Realität für ein Wochenende vergessen lassen. Daneben werden spirituelle Workshops, Theater und Yoga, ganz im Sinne freigeistiger Erhöhung angeboten. Mehrere Tage lang, ohne die morgendliche Angst vor der baldigen Schließung des Clubs, kann sich hier also so richtig verausgabt werden – ob bewusst oder nicht. Für viele ist das Festival zu einem sommerlichen Sport geworden, der süchtig macht und ganz nebenbei, auch den Geist immer mehr anspricht.
Samstagnacht, 1 Uhr: Wissenschaftshütte
Ich bin auf ein ebensolches Festival gefahren, doch statt meinem Ravestab, habe ich ein Script mitgenommen, das ein Kommilitone und ich laut Beschreibung, Samstag Nacht um 1 Uhr in der Wissenschaftshütte, präsentieren sollen. Es wird um Klimawandel gehen, schließlich ein wichtiges Thema. Also warum nicht auch hier. Und wir sind nicht allein. Vor unserem Vortrag wird es um Verschwörungsideologien, Food Sharing oder die Austeritätspolitik Griechenlands gehen. Immer eingebettet in schweren Bass und Synthieklängen, die aus der näheren Umgebung raunend, wie eine Wolkendecke über dem gesamten Gelände liegen und alles in Wallung bringen. Und wider Erwarten ist die Hütte voll, als wir kurz vor Eins in die selbstgebastelten Fenster spähen und einen Mann in orientalischer Kutte und kasachsicher Tubeteika auf dem Kopf eine aufwändige Power Point Präsentation halten sehen. Die Diskussion mit dem Publikum ist eher flach, doch dafür sehr engagiert und muss immer wieder um weitere gewünschte Wortmeldungen verlängert werden. Ein paar Leute schlafen, einige starren wie Eulen auf den Vortragenden, als hätten sie den Dj erwartet.
Die Leute sind aufmerksamer als in Vorlesungen
Nach 30 minütiger Überziehung und wiederholten Einwänden, Verschwörungstheorien seien ja oft nur Ausdruck kritischen Denkens, sind endlich wir dran. Ein paar Leute gehen, ein paar neue kommen, noch im Beat wippend, man schaut eben mal rein zwischen zwei Acts.
Natürlich haben wir auch eine Präsentation und ein Video. Doch der PC ist gerade jetzt kaputt gegangen. Es muss ein neuer her. Keine Panik, alles entspannt, keiner rennt raus. Man hat ja Zeit. Der orientalische Kasache leiht uns schließlich seinen, er wolle jetzt sowieso erst mal zum Night-Yoga. Es kann also endlich losgehen. Das Publikum sitzt im Gegensatz zu beginnenden Vorlesungen in Hörsälen lautlos und gespannt vor uns. Man ist gekommen, um sich anzuhören, was wir zu sagen haben. Es geht um Klimawandel. Das geht uns alle was an. Und tatsächlich, der Vortrag verläuft ohne größere Vorkommnisse. Wir sprechen einen Dialog zwischen einem Technikfanatiker und einem Naturromantiker und wollen dadurch klischeeübliche Argumente beider Seiten offenlegen. Unsere seichten Witze, die wir zur Auflockerung des Themas eingebaut haben, kommen überhaupt nicht an. Zu ernst nimmt man das Gesagte. Am Ende wird es auf unseren Wunsch keine Diskussion geben, schließlich haben wir ja gerade diskutiert. Ob unsere Message verstanden wurde, bleibt also im Dunkeln. Einige verschwinden wieder in der nächtlichen Basswolke.
Zwischen Rausch und Rave
Und vielleicht ist das auch gut so. Denn ob man hier und heute Nacht auf neue Erkenntnisse stoßen wird, erscheint generell fragwürdig. Überhaupt erwische ich mich immer wieder bei dem Gedanken, was das eigentlich alles soll, diese Workshops und Vorträge, die Diskussionen über Politik, während wieder Schnäpse und Pillen hin und her gereicht werden. Klar, es gibt uns ein gutes Gefühl, zwischen Rausch und Rave ein wenig über Politik zu streiten und erneut festzustellen, was so alles schief läuft, so wie die Gesellschaft heute organisiert ist. Es gibt uns, der Generation, die nicht wählen geht, sondern lieber im Kleinen mitmischt, ein Gefühl von Sinn, wenn mal wieder Arbeit und Vergnügen miteinander verbunden werden kann, hier, wo alles organic und vegan ist, wo Konsum sich rein auf die Einnahme von Substanzen bezieht. Ein wenig Spaß, eine Prise Gesellschaftskritik. Und alles bleibt, wie es ist. Doch vielleicht ist es auch zynisch so zu denken. Der Synergie-Effekt aller gesellschaftlichen Bereiche ist eben auch in der Festivalwelt angekommen. Und ein orientalischer Kasache mit Federschmuck bleibt vielleicht eher in Erinnerung als der Prof. in der Vorlesung. Und solange es noch beides gibt, ist bestimmt alles in Ordnung. Ist doch toll, wenn auch hier der Diskurs lebendig gehalten wird. So, der Schnaps wirkt endlich, ich geh’ tanzen. Was sollen die Gedanken, hier und jetzt. Dafür ist schließlich auch in zwei Tagen noch Zeit.
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Bilder: Sandra Riedmair
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