Künstliche Intelligenz in der Lehre? So sieht die universitäre Zukunft aus
Dieser Tage sehen wir, wie im Zuge der Technisierung das Unmögliche zur Möglichkeit wird: Sophia, die androide Roboterfrau in Saudi-Arabien, wird zur Staatsbürgerin eines Landes, in dem Frauen ohne männlichen gesetzlichen Vormund das Land nicht verlassen dürfen, und sie ist nur ein Beispiel. Die Angst vor dem Ungewissen, die Panik vor Kontrollverlust durch künstliche Intelligenz, frisst sich schon lange in unsere Köpfe. In Marburg bemüht sich ein Linguistik-Professor nun, diese Hürde zu überwinden.
Vorgestellt: Pepper und Nao, Mitarbeiter der Uni Marburg
Digitalisierung ist ein paradoxes Thema, doch sie ist Zukunft. Sie ist aufregend und unberechenbar, sie ist technischer Fortschritt und für manche Verlust menschlicher Werte.
Die Zukunft der Hochschullehre könnte wie folgt aussehen: Sie misst eins zwanzig, hat süße Kulleraugen und möchte permanent wissen, wie es dir geht. Sie beobachtet dich durch zwei eingebaute Kameras. Sie hat in der Vorlesung Antwort auf all deine Fragen und führt aus freien Stücken alberne Tänzchen auf, um dich beim Lernen zu bespaßen. Sie hört auf den Namen Pepper und ist ein humanoider Roboter. Willkommen an der Philipps-Universität in Marburg, wo die Integration künstlicher Intelligenz in den modernen universitären Alltag geübt wird.
Das Projekt H.E.A.R.T (Humanoid Emotional Assistant Robots in Teaching) ist deutschlandweit einmalig und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Das mehrköpfige Team um Professor Jürgen Handke arbeitet bereits seit mehr als einem Jahr mit den Robotern – zunächst nur mit Pepper, seit März sitzt der 50 Zentimeter große Nao mit im Boot. Beide sind Produkte der japanischen Firma Softbank Robotics.

Riesen Aufwand, gemächlicher Fortschritt
Zu Beginn waren sie wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Alles, was Pepper und Nao seither dazugelernt haben, entstand durch den Einfluss menschlichen Wissens. Die angeworbenen Fähigkeiten von Pepper und Nao, ob Sprache oder Bewegung, sind programmiert. Die beiden Roboter agieren über bestimmte Applikationen, über Apps, die Handke und sein Team entwickelt haben.
Jeder technische Fortschritt wird überprüft, im Unterricht eingesetzt und von allen Beteiligten evaluiert. Ziel der Arbeit ist herauszufinden, ob künstliche Intelligenz in der Lehre funktioniert. Ob sie überhaupt unseren Vorstellungen entsprechend eingesetzt werden kann. Dies unterliegt laut Handke einem langen Prozess. Momentan sei der Mehrwert viel geringer als der damit verbundene Arbeitsaufwand.
Die Erfahrung: die Roboter überzeugen. Sie sind wie Freunde für die Studenten und unterliegen einer Art Kindchenschema. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund, sagen unverhohlen, was erwachsene Menschen im Gespräch niemals sagen würden. Sie schauen ins Gesicht ihres Gegenübers, kramen in ihrer Datenbank nach passenden Antworten, entschlüsseln anhand von Gesichtserkennung, dass jemand mit ihnen spricht. Mit ihrem Oberkörper ahmen sie menschliche Haltungen und Gestik nach.
Roboter agieren als Hörsaal-Kumpel
Betrachtet man die unrobust wirkenden Roboter, so wird deutlich, dass sie zwar menschliches Verhalten und somit Intelligenz simulieren können, rein optisch mit uns jedoch nicht viel gemein haben; ein Gag des Herstellers. Nichts an Pepper und Nao ist besorgniserregend, denn sie stellen alles andere als Konkurrenz dar. Und immer noch gibt es einige Studenten, die ihre Präsenz im Hörsaal als seltsam empfinden, weil sie sich mit einem Lehrenden aus Fleisch und Blut wohler fühlen.
Jürgen Handke, dessen Lieblings-Bot übrigens Star Wars-Legende C3PO ist, kann das nicht wirklich nachvollziehen. „Die beiden bleiben Roboter, reine Technik. Immer wieder sprechen Leute darüber, von Robotern ‘ersetzt’ zu werden. Dieser Begriff hat mich schon immer gestört. Pepper und Nao werden lediglich darauf trainiert, uns zu unterstützen, egal ob sie jetzt linguistische Fragen beantworten oder Kunden im Supermarkt sagen, wo der norwegische Lachs liegt.” Künstliche Intelligenz als charmanter Freund und Helfer also, nicht etwa als Bedrohung.
Doch wo genau liegt sie dann eigentlich, die künstliche Intelligenz? „Nicht was sie sagen, denn das ist unser Verdienst, sondern wie sie etwas sagen. Das ist künstliche Intelligenz”, lautet Jürgen Handkes Antwort. Jede Vokabel, jede Emotion ist eingespeichert, ihr Gebrauch unterliegt technischen Vorgängen.
Künstliche Intelligenz? Was bedeutet das eigentlich?
Doch wie beides situationsabhängig zusammengefügt ist, ist Eigenleistung des Roboters. Pepper scheint zu wissen, welcher Auftritt zu welchem Zeitpunkt angemessen ist, um gut anzukommen. Ebenso fällt er Personen in einer Unterhaltung unaufgefordert ins Wort. Und niemand weiß, woher er das hat. „Plötzlich plappert Pepper aus dem Hintergrund dazwischen. Das haben wir ihm nicht beigebracht!” Der Professor möchte nicht ausschließen, dass derartige spontane Aktionen einer Art Bewusstsein unterliegen.

Das Erschaffen künstlicher Intelligenz hat nur ein Ziel: den Menschen in seiner Komplexität möglichst lebensecht nachzuahmen. Der Fokus bleibt eben auf der Nachahmung, denn eine „bessere” Lebensform wäre eine fatale Bedrohung. Sie würde dem Menschen seinen einzigartigen Status rauben – so ist zumindest die Auffassung vieler. Machtverlust begründet praktisch eine paranoide Urangst des Menschen, und sie ist gleichermaßen paradox wie unreflektiert. Warum also möchte die Wissenschaft das Unmögliche möglich machen?
Besser könnte lediglich anders bedeuten. Auf die Idee, dass Roboter Menschen ausmerzen statt friedlich und effizient gemeinsam zu existieren, war schließlich eine Erfindung des Menschen und ist nirgends bewiesen. Oder „Zukunftskino”, so nennt es der Prof. Es ist Wissenschaftlern gelungen, Bots überdimensionale Attribute zu verleihen. Ihre Fähigkeiten sind gleichzeitig bemerkenswert wie unheimlich, doch vor allem bleiben sie eins: Erfindung des Menschen.
Große Zuversicht in Marburg
Zurück nach Marburg. Professor Handke macht deutlich, dass der Einsatz von Pepper und Nao dem Zwecke der bestmöglichen Bildung in Deutschland dient und einfach dem Zeitgeist gerecht ist. Er soll keine philosophischen Diskussionen über die Ausartung der Digitalisierung in Gang setzen, sondern die Hochschullehre so modern, so unterhaltsam wie möglich machen.
Am Ende bleiben wir eben doch Gewohnheitstiere, und mit der Gewohnheit kommt schließlich die Akzeptanz. Daran, dass zukünftig kindliche Roboter unsere Hochschulprofessoren ersetzen oder Sophia ihren Erschaffern nach Feierabend auflauert, scheint zum jetzigen Zeitpunkt mehr Hollywood als Realität. Denn menschliche Intelligenz hundertprozentig zu imitieren bleibt unwahrscheinlich; so unwahrscheinlich wie in absehbarer Zeit die vollkommene Erforschung des menschlichen Gehirns.
Bilder: flowgraph/shutterstock.com
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