Früher war alles besser! Ist das auch im Studium so?
Wie hast du dich aufs Studium gefreut! Vielleicht haben dir deine Eltern immer erzählt, wie entspannt das wird, vielleicht hast du es in Filmen und Serien gesehen: Studenten, die ihr Leben genießen, faul rumhängen, viel lesen und herumphilosophieren. Und plötzlich klingelt der Wecker und du wachst in deinem eigenen Studentenleben auf. Dabei stellt sich leider heraus: Das ist alles andere als entspannt. Denn die Zeiten haben sich geändert. Die Bologna-Reform hatte nicht nur Auswirkungen auf die Lehre, sondern auch auf das Studentenleben.
Was früher alles gaaanz anders war als heute, erfährst du hier bei Jobmensa:
1. Ausschlafen
Früher:
Was? Erst 9 Uhr? Das war früher Grund genug, sich schnell noch mal auf die andere Seite zu drehen und wieder ins Land der Träume zu entschwinden. Denn zu Zeiten, in denen sich Studenten ihre Stundenpläne selbst zusammenstellen durften, lag natürlich ein besonderer Augenmerk auf dem Thema „Lebensqualität durch ausgiebige Schlafenszeiten“. Da verschoben die meisten ihren Rhythmus lieber auf ein aufregendes Nachtleben und späte Frühstückszeiten. Gegen Mittag konnte man dann mal in die Uni schlappen. Auf jeden Fall lautete eine unumstößliche Regel: Keine Veranstaltungen vor 10 Uhr.
Heute:
Um dein wöchentliches Pensum überhaupt zu schaffen, musst du normalerweise schon um 8 Uhr morgens in der Uni auf der Matte stehen. Die Pflichtseminare werden anscheinend mit Vorliebe auf den frühstmöglichen Termin gelegt – weil dann ja alle noch frisch und fit sind. Von wegen! Müdigkeit ist dein ständiger Begleiter, der volle Kaffeebecher dein einziger Freund.
2. c.t. und s.t.
Früher:
Teil der allgegenwärtigen Gemütlichkeit im Studium früher war die c.t.-Regelung. „cum tempore“ bedeutete, dass Seminare generell 15 Minuten nach der angesetzten Zeit begannen. Das akademische Viertel führte zwar dazu, dass viele Studenten auch danach noch tröpfchenweise in der Vorlesung eintrudelten, aber mit der Pünktlichkeit nahmen es damals alle nicht so genau.
Heute:
In vielen Fächern wurde das c.t. inzwischen durch das s.t. „sine tempore“ ersetzt. Die Seminare beginnen Punkt 8, Punkt 9 oder Punkt 10 Uhr und wenn jemand zu spät kommt, erntet er vom Dozenten strenge Blicke. Besonders ungeschickt ist es, wenn sich die einen Dozenten an c.t., die anderen an s.t. orientieren. Dann wird es nämlich beinah unmöglich, pünktlich zu kommen.
3. Anwesenheitslisten
Früher:
Die Professorinnen und Professoren damals besaßen eine Art Ehrenkodex. Wer sich für ihre Vorlesung interessierte, der sollte daran teilnehmen, wer nicht, der sollte eben wegbleiben. Anwesenheitslisten, die gab es vielleicht manchmal oder die wurden irgendwann auf Ansinnen der Universitätsleitung eingeführt – aber ob sie jemals kontrolliert wurden? Das gilt es zu bezweifeln.
Heute:
Heutzutage entsteht manchmal das Gefühl, dass man es mit Kriminalbeamten anstatt mit Lehrbeauftragten zu tun hat. Da werden Handschriften auf der Anwesenheitsliste kontrolliert, um ja auszuschließen, dass jemand für seinen Nebensitzer unterschrieben hat. Stichprobenartig werden Studenten aufgerufen, um sicher zu gehen, dass sie auch anwesend sind. Und wer mehr als zwei Mal fehlt, der hat am Ende nicht teilgenommen. Etwas mehr Eigenverantwortung hat man den Studenten früher schon zugetraut.
4. Leistungsnachweise
Früher:
Das mit der Eigenverantwortung betrifft auch das Thema „Leistungsnachweise“. In den Diplom- und Magisterstudiengängen ging es einmal darum, eigenständige Persönlichkeiten auszubilden, die durch hohes Fachwissen ebenso überzeugten wie durch Einblicke, die sie in andere Fachbereiche gewonnen hatten. Die Scheine, die es damals zu erbringen galt, hielten sich zahlenmäßig in Grenzen, vor allem das Hauptstudium bot Gelegenheit, sich zu spezialisieren und eigene Interessen zu verfolgen. Da man nicht durch das Studium gehetzt wurde, wie es heute der Fall ist, konnte sich jeder die Zeit nehmen, die er brauchte, um sein Diplom in den Händen zu halten. Das bot auch die Gelegenheit, sich zu zerstreuen, weiterzubilden und Lebenserfahrung zu sammeln.
Heute:
Heute ist die Jagd auf die Credit Points eröffnet. In dem verschulten Bachelor- und Mastersystem müssen Leistungen ständig überprüft werden. Es gibt kaum ein Seminar, in dem die Studis keine Referate ausarbeiten, ihre aktive Teilnahme unter Beweis stellen oder Hausarbeiten schreiben müssen. Dementsprechend oberflächlich fallen diese Leistungsnachweise in der Regel aus. Denn wer soll das schaffen: In jedem Seminar 100 Prozent Leistung bringen, wenn der Stundenplan derart überfrachtet ist? Am Ende des Studiums hat der Student zwar jede Menge Credit Points gesammelt – wie viel davon inhaltlich hängen geblieben ist, ist aber die Frage.
5. Studiendauer
Früher:
Ja ja, die lieben Langzeitstudenten… Fachsemesterzahl im zweistelligen Bereich, aber immer noch nicht in allen Nebenfächern mit der Zwischenprüfung durch. Ob es immer so hilfreich war, ganz ohne Zeitdruck zu studieren und ob jeder Student diese Zeit wirklich so sinnvoll genutzt hat, wie erwünscht muss man schon bezweifeln. Doch den Studierenden wurde damals die Freiheit eingeräumt, den Ablauf ihres Studiums in die eigenen Hände zu nehmen. Das dauerte öfter mal etwas länger, dafür lernten die Studenten Eigenverantwortung und Disziplin und hatten die Gelegenheit, auch außerhalb des Studiums etwas zu lernen.
Heute:
Das Studium ist streng durchgetaktet. In sechs Semestern zum Bachelor, davon natürlich ein Auslands- und ein Praxissemester, in vier Semestern zum Master – so wünschen es sich die Befürworter der Bolognareform. Das führt aber leider oft dazu, dass die Studenten mit Scheuklappen durchs Studium hetzen. Wie sonst soll man den strengen Zeitplan einhalten? Es ist zwar auch in den heutigen Studiengängen möglich, das eine oder andere Semester dranzuhängen, allerdings wächst gleichzeitig die Anspruchshaltung der Wirtschaft. Wer nicht pünktlich mit 23 seinen Bachelor oder mit 25 den Master-Abschluss vorweisen kann, gerät da leicht mal in Erklärungsnot.
6. Lebensgefühl
Früher:
Diese Bilder sind vorherrschend: Studenten, die sich politisch engagieren, die demonstrieren, die sich gegen das System auflehnen. Aber auch Studenten, die abends in verrauchten Kneipen sitzen, miteinander diskutieren und debattieren. Und schließlich Studenten, die das Leben genießen, die Party machen und die Semesterferien nutzen, um mit Interrail durch Europa zu reisen.
Heute:
Das Image der Studenten hat sich ziemlich geändert: Heute versteht man darunter junge Leute, die versuchen ihren Lebenslauf zu optimieren, um in unsicheren Zeiten einen Job zu ergattern. Die Semesterferien werden genutzt, um Praktika zu absolvieren, ihren Feierabend verbringen Studis nicht in der Disco, sondern am Schreibtisch. Sie haben keine Zeit sich im Asta zu engagieren oder für ihre Rechte auf die Straße zu gehen – sie müssen ihr nächstes Referat vorbereiten.
Klingt ganz nach der alten Leier: Früher war halt alles besser. Aber so einfach ist es nicht. So einfach sollte man es sich zumindest nicht machen. Denn jeder hat seine Studienzeit auch selbst in der Hand.
Früher hieß es, die Studienzeit sei die schönste Zeit im Leben und auch heute hat sie noch alle Chancen dazu! Also fang an und mach dein Ding, lies die Texte, die ich interessieren, engagiere dich für die Themen, die dir wchtig sind, nutze deine Semesterferien, um dich zu entspannen, aber auch um neue Erfahrungen zu sammeln und lass dich nicht aus der Ruhe bringen von der Scheuklappen-Leistungsgesellschaft. Studium ist, was du draus machst!
Sag deine Meinung auf Jobmensa: Was hältst du von dem Beschleunigungs- und Optimierungs-Wahn, der heute an den Unis herrscht? Oder findest du, das ist Schwarzmalerei?
Bilder: George Dolgikh/shutterstock.com
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