„Eine totale Bauchentscheidung“: Alltagsabenteuer einer Studentin in Japan
Ein Auslandsjahr in Spanien, Australien oder den USA? Das geht auch abenteuerlicher! Die Bonner Geographie-Studentin Isabel hat bei der Wahl ihrer Gastuni ihren Bauch entscheiden lassen – und ist im japanischen Kanagawa gelandet. Wir haben mit der sympathischen Studentin über Klischees, Fettnäpfchen, merkwürdige Werbegeschenke und ihren Studentenalltag in Kanagawa und Tokyo gesprochen.

Eine deutsche Geographie-Studentin im fernen Japan – klingt erstmal ungewöhnlich. Was genau machst du in Tokyo?
Ich absolviere ein Auslandsjahr an der Keio University und schreibe hier meine Masterarbeit im Bereich Konsumgeographie. Mein Campus liegt allerdings nicht in Tokyo, sondern in Kanagawa, das ist die angrenzende Präfektur. Da wohne ich auch.
Für viele Studierende heißen die Sehnsuchtsziele für ein Auslandsstudium Kanada, USA oder Australien. Wie bist du auf Japan gekommen?
Aus irgendeinem Grund wollte ich schon mein Leben lang nach Japan, habe aber die Möglichkeit, hier zu studieren, unbewusst ausgeblendet. Dann, im Oktober 2014, sah ich die Ausschreibung für die Plätze im Asien-Direktaustauschprogramm meiner Heimatuni. Meine Bewerbung lief ähnlich wie bei meinem letzten Auslandsaufenthalt – es war eine totale Bauchentscheidung und absolut nicht geplant. Weil ich nicht glücklich mit dem Seminarangebot an meinem Institut war, dachte ich mir, ich könnte es ja zumindest versuchen. Da ich mich aber auch fachlich weiterbilden möchte, war es mir sehr wichtig, eine passende Uni mit einem interessanten Programm zu finden. Dass es dann wirklich Japan wurde, war eher Zufall. Die Keio bietet ein für meinen Schwerpunkt sehr geeignetes englischsprachiges Programm. Mein Drittwunsch war aber beispielsweise Seoul.
„Zum Sprechen komme ich, abgesehen vom Bestellen im Restaurant, Einkaufen oder solchen Dingen, kaum. Ich habe auch schon öfter nach dem Weg gefragt, weil ich mich ständig verlaufe. Verstehe nur leider nie die Antwort.“
Du bist jetzt seit knapp 2 Monaten hier. Wie steht’s denn um deine Sprachkenntnisse? Ist schon mehr drin, als “Hallo, mein Name ist…”?
Ich müsste lügen, würde ich sagen, dass ich mittlerweile der Japanisch-Pro schlechthin bin. Mein Leseverständnis schwankt zwischen wenig bis nichts, aber es war definitiv gut, vorher ein halbes Jahr lang Japanisch gelernt zu haben und wenigstens die zwei grundlegenden Alphabete, also Hiragana und Katakana, zu beherrschen. Ich befürchte, sonst würde ich hier völlig am Rad drehen. Was allerdings recht schnell geht, ist das Erkennen von Kanji. Zum Sprechen komme ich, abgesehen vom Bestellen im Restaurant, Einkaufen oder solchen Dingen, kaum. Ich habe auch schon öfter nach dem Weg gefragt, weil ich mich ständig verlaufe. Verstehe nur leider nie die Antwort.
Was ist an der Uni im Land des Lächelns anders, als in Deutschland?
Ich habe Seminare und einen Sprachkurs. Der Sprachkurs ist genauso, wie man es auch aus Deutschland kennt – man hat ein Buch und peitscht einzelne Lektionen durch. Die Seminare kommen mir eher vor wie eine Mischung aus Vorlesung und Seminar. Der Dozent erzählt etwas zu einer PowerPoint-Präsentation, es wird diskutiert und die Studenten halten auch selber zu ausgewählten Themen Vorträge. Insgesamt kommt es mir aber persönlicher vor. Wir machen beispielsweise auch Ausflüge und Exkursionen mit den Seminaren oder treffen uns in lockerer Runde mit der Dozentin oder dem Dozenten.
Unterscheidet sich das Studentenleben in Japan von dem, was du aus Deutschland kennst? Wie sieht es zum Beispiel mit Partys oder dem Lernpensum aus?
Also Partys gibt es hier mehr als genug. Es gibt verschiedene Studentenorganisationen, die immer wieder Partys oder Get-togethers veranstalten. Ich blicke mittlerweile schon kaum mehr durch, wer für was steht und wer was veranstaltet, es ist aber im Endeffekt auch irrelevant – man findet immer Leute, die mitkommen oder lernt eben dort neue kennen. Das Lernpensum ist im Prinzip mit Deutschland vergleichbar, zumindest so wie ich es kenne: man hält ein bis zwei Präsentationen im Semester und schreibt dann eine Hausarbeit. Die fällt aber kürzer aus. Da ich noch die Masterarbeit im Nacken habe, ist es im Moment etwas stressig, aber das sollte sich nach Fertigstellung einpendeln.
Und wie kommst du mit deinen japanischen Kommilitonen klar? Ist es schwierig, als deutsche Studentin in Japan Anschluss zu finden?
Um ehrlich zu sein, habe ich kaum japanische Kommilitonen. Ich bin ja in einem internationalen Programm, bei mir sitzen vor allem Indonesier und Chinesen. Die Japaner aber, die ich bisher über andere Kanäle kennen gelernt habe, etwa im Wohnheim oder über Freunde, sind total nett und aufgeschlossen. Es gibt auch von der Uni diverse Programme, zum Beispiel ein Buddy-Programm und ein Tandem-Programm, in welchen man Japaner kennen lernen kann. Ich nehme solche Sachen immer sehr gerne wahr, weil es generell als internationaler Student wirklich schwierig sein kann, Einheimische kennen zu lernen.
„Ich liebe die kleinen Schreine und Tempel, die man hier überall finden kann. Außerdem bin ich ein Meerkind, deswegen zieht es mich wohl immer Richtung Wasser.“
Tokyo gilt als eine der verrücktesten Metropolen der Welt. Was gefällt dir am besten an der Stadt?
Definitiv die Vielfältigkeit. Tokyo an sich ist ja recht klein – wenn wir von Tokyo reden, meinen wir normalerweise den Großraum bzw. die Metropolregion, und die ist gigantisch. Zuletzt bin ich beispielsweise mit einem Freund zwei Stunden gen Westen mit dem Zug gefahren, stieg aus und war mitten im landschaftlich super schönen, bergigen Nirgendwo, welches aber immer noch zur Präfektur Tokyo gehört. Näher an der Stadt ist es aber natürlich auch toll. Es gibt hier sehr viel zu entdecken, vom Neonlichtermeer Shibuyas über die touristisch aufbereitete Edo-Hyperrealität Asakusas und die Arcadehöhlen und –höllen Akihabaras bis zu den breiten avenueartigen Straßen und feinen Boutiquen Ginzas ist für jeden Geschmack was dabei. Generell gefällt mir das „Traditionelle“ besser. Ich liebe die kleinen Schreine und Tempel, die man hier überall finden kann. Außerdem bin ich ein Meerkind, deswegen zieht es mich wohl immer Richtung Wasser. Vor ein paar Wochen war ich in Kamakura, das liegt zwar nicht in Tokyo, aber im süd-östlichen Kanagawa, also daneben. Da gibt es viele Tempel, Schreine und Meer. Das hat mir bisher am besten gefallen.
An aufregenden Freizeitangeboten wird es dir hier vermutlich nicht mangeln. Was treibst du so, wenn du gerade nicht in der Uni oder an deiner Masterarbeit sitzt? Machst du die gleichen Dinge, die du zuhause auch machen würdest?
Ja, so ziemlich. Hier gehe ich dann öfter in die Stadt oder fahre an einen mir unbekannten Ort (gibt ja noch ziemlich viele davon) und verlaufe mich – das kann ich gut, und so sieht man am einfach meisten. Ich gehe auch gerne essen, treffe mich mit Freunden, die Standardsachen eben. Am Wochenende kann es dann auch gerne mal weiter weggehen, dann kommt die Touristin in mir durch und es steht Sightseeing oder eine Wandertour an. Das würde ich in Deutschland wohl eher weniger machen. Schade eigentlich, wenn ich so drüber nachdenke. Sollte ich auch zuhause öfter tun. Tourist im eigenen Land, der eigenen Region oder gar der eigenen Stadt ist man wohl viel zu selten.
„Die Standardsituation im Zug ist beispielsweise, dass, wenn neben mir ein Platz frei ist, woanders aber auch, der neben mir ausnahmslos zuletzt belegt wird. Das ist zwar auffällig, stört mich aber nicht wirklich.“
Zwischen Japan und Deutschland gibt es bekanntlich ein paar klitzekleine kulturelle Unterschiede. Das ein oder andere Fettnäpfchen bleibt doch da bestimmt nicht aus, oder?
Oh ja. Ich bin auch direkt am ersten Tag in ein riesiges getreten, aus eigener Schusseligkeit. Ich hatte völlig vergessen, dass sich Japaner vor Betreten des Hauses oder der Wohnung die Schuhe ausziehen. Ich, mit Sack und Pack gerade im Wohnheim angekommen, lasse mir also von einer Japanerin mein Zimmer zeigen und stapfe so munter, wie man eben nach 14 Stunden auf Achse ist, mit meinen Schuhen in mein Zimmer. Der Horror im Blick der Japanerin wird mich wohl bis an mein Lebensende verfolgen. Ich glaube, sonst bin ich noch verschont geblieben. Wobei mit Sicherheit noch das ein oder andere dabei war. Das sagen einem Japaner aber auch einfach manchmal nicht.
Wenn wir schon bei den Klischees sind: Wie denken deine japanischen Kommilitonen denn über Deutschland und seine Bewohner? Tritt man dir manchmal mit Vorurteilen entgegen?
Klar, ich wurde schon gefragt, ob wir überall Würstchen, Kartoffelsalat und Brezeln essen wie auf dem Oktoberfest. Oder wieso ich kein Bier trinke, ich sei doch schließlich Deutsche. Das sind so die gängigen Klischees. Das Pünktlichkeitsklischee greift hier nicht, weil die Japaner selber pünktlich sind (was auch wahrscheinlich auch ein Klischee ist). Negative oder bösartige Vorurteile habe ich bisher zum Glück noch nicht zu spüren bekommen. Wobei man schon spürt, dass man als Ausländer eher ein Außenseiter ist. Die Standardsituation im Zug ist beispielsweise, dass, wenn neben mir ein Platz frei ist, woanders aber auch, der neben mir ausnahmslos zuletzt belegt wird. Das ist zwar auffällig, stört mich aber nicht wirklich.
„Ich finde hier sehr vieles merkwürdig. Wenn ich Taschentücher als Werbegeschenk erhalte, und das an jeder Ecke.“
Hat dich bis jetzt während deines Japan-Abenteuers mal irgendetwas so richtig genervt?
Die allgegenwärtige Bürokratie ist schon etwas nervig, aber nichts, was man nicht auch aus Deutschland kennen würde. Ebenfalls unnötig ist der fehlende Bürgersteig auf dem Weg zwischen Wohnheim und Bahnhof, weswegen ich schon öfter Angst um mein Leben gehabt habe, weil es die Auto- und Radfahrer nicht interessiert, ob da jemand läuft oder nicht. Oder, dass man seine Wäsche nur mit kaltem Wasser waschen kann. Aber das sind so Nichtigkeiten. Am meisten nerve ich mich, glaube ich, selber. Zum Beispiel weil ich mich zum x-ten Mal mit der Bahn verfahren oder im Bahnhof verirrt habe.
Was war das Merkwürdigste, was du bis jetzt in deinem Auslandsjahr erlebt hast?
Schwierige Frage. Ich finde hier sehr vieles merkwürdig. Wenn ich Taschentücher als Werbegeschenk erhalte, und das an jeder Ecke. Oder mich meine japanische Bank hundertfach um Entschuldigung bittet, weil sie vergessen haben, meinen Studentenausweis zu kopieren, und mir als Entschädigung eine Packung Taschentücher und zwei Gefrierbeutel schenkt. Oder der Kontrast von unverständlichen High-Tech-Klos mit Musik und beheizter Klobrille in einem Uni-Gebäude mit den Hock-Toiletten alias Löcher im Boden im anderen Gebäude. Oder die Tatsache, dass man wie ein Alien angestarrt wird, wenn man sich die Nase putzt, sich aber ständig jemand in der Nähe die Nase hochzieht. Hach, es gibt so vieles, was ich merkwürdig finde, da sticht eigentlich nichts heraus. Es bleibt ein Abenteuer. Man lernt wirklich nie aus.
So ein Jahr Japan ist bestimmt nicht billig. Wie stemmst du die Finanzierung? Hast du in Deutschland gejobbt oder hast du sogar einen Nebenjob in Japan?
Ich habe hier einen kleinen Nebenjob in einer Grundschule, wo ich die „Global Communication Classes“ unterstütze. Konkret bedeutet das, dass ich mit den Kindern Uno spiele oder Vokabeln lerne. Außerdem arbeite ich zwischendurch noch als Nachhilfelehrerin für Deutsch und Englisch und habe noch meinen alten Nebenjob in Deutschland, den ich vom PC aus erledigen kann. Reich wird man mit allen Jobs sicherlich nicht, weswegen ich auch sehr froh bin, ein Stipendium der japanischen Studentenorganisation JASSO zu erhalten. Davon kann ich wenigstens die monatliche Miete und meine Handykosten bezahlen. Was leider finanziell extrem reinhaut, sind die Transportkosten. Die habe ich vor Antritt des Auslandsjahres sehr unterschätzt. Ich bin daher froh darüber, dass meine Familie auch finanziell hinter dem steht, was ich tue. Dafür bin ich ihr sehr, sehr dankbar.
Was steht für die kommenden Monate noch auf deiner persönlichen Bucket List?
Viel zu viel wahrscheinlich. Im Prinzip möchte ich durch ganz Japan touren. Was auf jeden Fall drin sein wird, sind Kyoto, Nara, Osaka und Kobe, sowie die anderen großen Inseln Japans, sprich Kyushu, Shikoku und Hokkaido. Mit meinen Eltern werde ich außerdem im Februar nach Okinawa reisen. Darauf freue ich mich auch schon total, weil es noch mal einen großen Kontrast zum restlichen Japan bilden soll – wenn man das denn mal so über den Pauschalisierungskamm scheren darf. Ich habe auch überlegt, wenn man schon mal „in der Gegend ist“, die Alexia in China zu besuchen, weiß aber noch nicht, ob das zeitlich hinhaut, weil es hier so viel zu entdecken gibt, dass ich manchmal gar nicht weiß, wo mir der Kopf steht.
Vermisst du schon irgendetwas aus der Heimat?
BROT! Vernünftiges, frisches Brot vom Bäcker oder aus der heimischen Küche. Ich hab schon versucht, welches im Wohnheimofen selber zu backen, aber das glich eher einem Schuss in den Ofen. Und bevor ich komplett auf Weißmehltoast mit Scheiblettenkäse umsteige, bleibe ich lieber bei den japanischen Sachen, die ich dann eben in Deutschland nicht ohne weiteres bekommen kann.
Vielen Dank für das Interview, Isabel!
Bilder: Isabel Naguib
Das könnte dir auch gefallen:
Studieren unter Palmen – mit Erasmus in die Karibik
Granada, Barcelona, Paris oder London - an diese Erasmus-Klassiker denken viele zuerst, wenn nach den Traumzielen für ein Auslandssemester gefragt wird.
6 Gründe, warum das Studium die beste Zeit zum Reisen ist
Student sein heißt frei sein, jung und ungebunden. Wir haben 6 Gründe für dich, warum jetzt definitiv die beste Zeit zum Reisen ist!
Dein dickes Plus im Lebenslauf: 5 Tipps zum Auslandsstudium
Ihr strebt ein Auslandsstudium an? Doch wohin soll es gehen? Welche Städte sind beliebt und was kostet das Ganze? Wir verraten es euch!