Die Schatten der Akademisierung. Zwischen Planlosen und Fachidioten
In Deutschland herrscht ein allgemeiner Tenor: wer kann, sollte studieren. Sonst hat man versagt. Wer sich anders entscheidet, muss sich konservativen Fragen stellen, auch unter Gleichaltrigen. Doch oft versteckt sich dahinter nur der stille Ausdruck von Feigheit, nie eine eigenständige Entscheidung für sein Leben getroffen zu haben. Nicht studieren ist mutig, aber manchmal auch genau das Richtige.
Ich sage es gleich vorneweg, ihr könnt es nachlesen, ich studiere noch. Geisteswissenschaften, was mit Medien. Zustimmendes Kopfnicken bekommt man dafür selten. Doch erschien es mir immer sinnvoll und logisch, es so zu tun. Schließlich habe ich Abitur. Krisen und Gedanken, alles hinzuschmeißen gab es viele, doch wurden sie meist erfolgreich verdrängt. Ob dies stets Ausdruck meines Selbstvertrauens war, oder bloße Angst vor der Alternative, kann ich nicht eindeutig beantworten.
Studieren gegen die Planlosigkeit
Vor ein paar Jahren bin ich wie viele auf die Straße gegangen und habe gegen die Studiengebühren und für bessere Bedingungen demonstriert. Überfüllte Hörsäle sind eine Zumutung. Und sie werden immer voller. Doch hätte ich unter besseren Bedingungen nie gezweifelt? Ist es nicht vielmehr der Wunsch nach Orientierung und Anerkennung, der sich dahinter verbirgt? Mehr Geld, bessere Ausstattung und qualitativ hochwertige Lehre werten den eigenen Lebensentwurf auf und lassen uns wissen, wir tun das Richtige. Doch werfen wir den Blick durch den Hörsaal, auf die, die einen Platz bekommen haben, sehen wir nicht nur Wissbegierde und sprühende Motivation. Wir sehen Langeweile, Wiederkäuer, Planlosigkeit. Und das nicht wegen mangelnder Ausstattung.
Die Tatsache, dass immer mehr junge Menschen den Weg ins Studium wählen, steht in wenig bis keinem Zusammenhang mit dem angestrebten Berufsziel oder einem erfüllten Leben an sich. Der große Jackpot fliegt einem nicht zu und viele arbeiten später in völlig anderen Bereichen. Es ist eine allgemeine gesellschaftliche Haltung, die das universitäre Studium zum “richtigen Weg” erkoren hat, sie strahlt Wissen und Fortschritt aus. Doch produziert sie gleichzeitig nur mehr Planlose, die studieren, um zu studieren oder Fachidioten, die nur mitschreiben aber kaum selber denken. Vor allem, weil sie es von allen Seiten eingeimpft bekommen.
Nach dem Abschluss mach‘ ich dann was ich wirklich will…
An dieser Stelle kommt es meist zwischen Wirtschafts- und Geisteswissenschaftlern zu Streit. Erstere verstehen kaum, wie man angesichts der Marktsituation noch Kunstgeschichte studieren kann, zweitere nicht, wie man sich den Marktprinzipien so leichtfertig verschreiben kann. Es ist ein akademischer Streit und er verdrängt ein offensichtliches Problem. Denn in beiden Fällen geht es um den Abschluss, der zur Voraussetzung für ein erfülltes Leben, sei es in finanzieller, intellektueller oder sonstiger Hinsicht, geworden zu sein scheint. Gleichzeitig spreche ich täglich mit Menschen, die mir nahe stehen und solchen, die ich kaum kenne. Alles kluge Köpfe, deren größter Traum sich mittlerweile nur noch auf den baldigen Abschluss des Studiums beschränkt, um dann endlich etwas anderes machen zu können. Um endlich frei zu sein?
Und in der Tat ist der Abschlusszwang ein gesellschaftliches, ein politisches Problem. Denn in den meisten Personalbüros schlägt auch ein schwacher Bachelor noch immer jeden engagierten, talentierten Nichtakademiker. Das ist nicht nur schade und beklagenswert. Es ist Verschwendung, auch von Steuergeldern. Doch noch viel mehr von Talenten, die abseits von Theorie nie erkannt werden, von Lebenszeit, die jahrelang aufgewendet wird, weil der Weg als alternativlos erscheint. Jede zweite frühere Ausbildung ist heute ein Hochschulstudium. Jeder intellektuelle Pups bedarf einer akademischen Zertifizierung und ein Studienabbruch verlagert direkt wieder auf Abiturniveau. Die Sinnhaftigkeit einer Ausbildung wie die der Selbstständigkeit, wird zunehmend von der fortschreitenden Überakademisierung bis zur Irrationalität verkehrt und mindert Kreativität und Diversität einer ganzen Gesellschaft. Denn der Ausbau der Bildungsinstitutionen konzentriert sich vor allem auf die, die Verwertbarkeit verheißen. Orte der intrinsischen Motivation ohne Nützlichkeitsanspruch, wie Volkshochschulen und Bibliotheken, befinden sich dagegen im Rückbau. Mag sein, dass ein Studium auf dem Weg in die Arbeitswelt hilft. Doch ist es weder eine Garantie für den CEO-Posten, noch für die Selbstfindung. Viele Berufe haben vor Jahren noch keinen akademischen Abschluss vorausgesetzt, doch das Gehalt hat sich vielerorts auch trotz höher ausgebildeter Bewerber nicht verbessert.
Die expandierende Egalisierung der Bildungspolitik suggeriert fälschlicherweise biographische Sicherheit, doch wollen auch Unternehmen am Ende keine einfallslosen Konformisten.
Mehr Mut für ungewöhnliche Wege
Stattdessen bräuchte es viel mehr Mut, auch andere Wege zu gehen. Ungewöhnliche, die den eigenen Talenten und Bedürfnissen entsprechen, die eine eigenständige Entscheidung wiederspiegeln und nicht der systemgläubigen Ideologie des richtigen, also akademischen Tenors hinterher hecheln. Ein Studium ist nicht für jeden etwas. Und das ist auch gut so. Wie viele Biographien großer Künstler, Schriftsteller oder Firmengründer gibt es, die einen völlig geradlinigen akademischen Weg hinter sich haben? Es sind gerade die, die zweifeln und dann nicht in ihrer Situation verharren, sondern handeln und möglicherweise auch eine Entscheidung gegen den Strom treffen und dadurch über sich hinauswachsen.
Manchmal ist es schwierig die eigene Erwartungshaltung von der äußeren zu abstrahieren. Doch sich der eigenen tatsächlich bewusst zu werden, kann nicht nur Sinnkrisen überwinden, sondern auch die der Anderen um Weiten übertreffen.
Eine Möglichkeit, seine Stärken zu entdecken, bieten Praktika und interessante Nebenjobs. Denn Probieren geht über Studieren. Schau doch mal in unserer Jobbörse vorbei.
Bilder: Lolostock/shutterstock.com
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