“Boah, was bin ich gestresst!” – Wenn Stress bei Studenten zum Statussymbol mutiert
Über Stress zu klagen mutiert in Deutschland immer mehr zur Lieblingsbeschäftigung quer durch alle Bevölkerungsschichten, Studenten nicht ausgeschlossen. Denn auch an der Uni misst man sich ständig mit den Kommilitonen, schielt voller Neid und Missgunst zu denjenigen herüber, die mal wieder die bessere Note in der Hausarbeit haben oder ihren Kram schneller und effizienter unter einen Hut bekommen, Nebenjob und volles Freizeitprogramm inklusive.
Doch fragt man dann den Studienkollegen nach seinem Befinden, bekommt man leider oft zu hören: “ Wie soll’s mir schon gehen? Voll der Stress halt!”
Tja, was soll man darauf denn auch erwidern? Vermutlich nur, dass man auch voll den Stress hat…
Aber was ist da eigentlich los? Ist das Studium tatsächlich so unfassbar stressig? Hat man als Student wirklich für nichts mehr Zeit zur Verfügung? Muss man wirklich so richtig krass und bis zum nahenden Burnout oder körperlichen Kollaps gestresst sein, um ein bisschen Anerkennung zu bekommen? Wir gehen der Sache mal auf den Grund!
Nur wer Stress hat, macht was richtig.
Wir leben ja nun in einem Land, in dem Jammern zu einer weitverbreiteten und ebenso anerkannten Disziplin gehört. Die Deutschen quengeln gern, nörgeln mal hier, mal da ein bisschen herum, beschweren sich nicht selten bei auch völlig fremden Leuten, und zwar ganz ohne einen Hauch von Peinlichkeit. Zu Lamentieren ist hierzulande ein beliebtes Hobby, was verbindet denn sonst auch mehr als sich einfach mal so richtig schön zu beschweren und seinen Frust rauszulassen.
Kein Wunder also, dass so eine unangenehme Sache wie Stress es den Deutschen angetan hat. Stress ist in, zeigt er doch, dass man mehr als den nötigen Aufwand betreibt und sich nicht davor scheut, sich zu schinden. Auch Studenten beanspruchen gerne den Status des Gestressten für sich, schließlich ist jedes Studium das anspruchsvollste, jeder ist abgespannt, gehetzt, hat noch so viel zu tun und kommt zu nichts.
Studenten messen sich heute mehr denn je untereinander, denn der Druck an den Unis ist immens. Bummelstudenten wie früher gibt es nicht, die Zeit im Studium wird bis zu jeder freien Minute möglichst effizient genutzt. Notendruck, Zeitdruck, Konkurrenz, ständiges Up-to-date-Sein sowie Dauererreichbarkeit bewirken, dass Studieren nicht mehr so sehr als Freiheit, als Lust an Bildung und Spaß am Lernen, sondern als Belastung, als Zwang wahrgenommen wird. Nebenher will sich jeder auch noch selbst verwirklichen, sich optimieren und das Maximum aus seiner Zeit herausholen. Und wenn dann jemand daherkommt, dem alles ganz leicht von der Hand geht, der wird ganz skeptisch beäugt.
Politur fürs Selbstwertgefühl
Wer bekommt schon anerkennende Blicke, wenn er davon berichtet, wie unglaublich gechillt und gemütlich er gestern den ganzen Abend bei einem lauwarmen Lüftchen auf seinem Balkon gesessen, den Himmel angeschaut und sich dabei wunderbar erholt hat? Siehste! Keiner!!
Wer aber sagt, dass er noch bis in den späten Abend, ah was, die späte Nacht hinein über seinen Uniunterlagen gebrütet hat, nachdem er schon den ganzen Tag an der Uni so einen Stress hatte, dann klingt das Ganze schon anders. Stress und Überforderung gehören nämlich zum guten Ton und wer was auf sich hält, der hat halt eben ganz viel Stress. Er dient als schöne Politur fürs Selbstwertgefühl und ist eine gesellschaftlich erwünschte Eigenschaft, ja ein Statussymbol. Wer keinen Stress hat, der wird sozial geächtet. Das ist nicht nur im Job so, sondern auch schon im Studium. Doch Überforderung bleibt Überforderung, für den Einzelnen, der kein Publikum hat, bleibt sie einfach eine große Last.
Klar ist, dass einige Menschen mit Stress kokettieren und bewusst oder unterbewusst nach Hektik suchen, um wichtig, gebraucht und erfolgreich zu wirken. Hinter diesem angeblichen Stress versteckt sich nichts weiter als das Bedürfnis nach Anerkennung, es ist quasi schon Eigenlob, schließlich will jeder für seinen Einsatz auf die Schulter geklopft werden.
Klar ist aber auch, dass echter Stress auf Dauer zu Depressionen, Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und einem ganz und gar nicht angenehmen Leben führt. Denn wenn man völlig ausgebrannt und erschöpft ist, hilft auch das dickste Schulterklopfen nicht mehr viel.
Also, liebe Studis! Stresst euch nicht zu sehr, denn das Studium ist eine geile Zeit! Habt Spaß an dem, was ihr lernt und gönnt den anderen ihre Erfolge. Für Stress bleibt später im Job noch genug Zeit. 😉
Bilder: Dragon Images/shutterstock.com
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