Beschützt uns vor der Welt! US-Studenten haben Angst vor unbequemen Themen
Eine eigenartige Bewegung greift an Universitäten in den USA um sich: Studenten fordern vermehrt, vor einzelnen Themen, ja sogar vor bestimmten Wörtern “beschützt” zu werden. Aus Angst vor emotionalen Schäden und Traumata will der akademische Nachwuchs vor einigen Lehrinhalten vorab explizit gewarnt werden. Tabuthemen und rote Listen an Universitäten? Was ist da los auf der anderen Seite des Teichs?
“Trigger Warnings” – was ist das?
Im Zentrum der Debatte steht die Forderung nach sogenannten “Trigger Warnings” an amerikanischen Hochschulen. Hintergrund ist die Annahme, dass bestimmte Reize bei Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung ungewollte, heftige Erinnerungen an das traumatische Erlebnis “triggern”, oder zu Deutsch auslösen können. Wer etwa Opfer eines Gewaltverbrechens wurde, soll durch die Triggerwarnung vorab darüber informiert werden, dass ein bestimmter Inhalt – ein Buch, Film oder eben ein universitärer Vortrag – Gewaltschilderungen enthält. Soweit so gut.
Sexuelle Nötigung in Versform
Schwierig wird es allerdings, wenn alles, was bei den Studenten theoretisch negative Gefühle hervorrufen könnte, als heikel klassifiziert wird oder sogar vom Lehrplan ausgeklammert werden soll. An der New Yorker Columbia Universität wünschen sich die Studierenden eine solche “Trigger Warning” neuerdings zum Beispiel für den mythologischen Klassiker “Metamorphosen” des römischen Dichters Ovid. Die Begründung: Das um das Jahr Null herum entstandene, 15 Bücher umfassende Werk in Versform enthält Passagen, in denen lüsterne Götter Frauen nachstellen. Sexuelle Nötigung also, wenn man die aufgebrachten New Yorker Studenten fragt.
Konsequenzen für die Lehre
Was für Konsequenzen diese neue Hypersensibilität haben kann, wenn sie zu weit getrieben wird, macht ein weiterer Fall deutlich: Eine Jura-Professorin aus Harvard beschrieb in dem Magazin New Yorker die Auswirkungen der Debatte auf den Lehrbetrieb. Studentische Frauenorganisationen verlangten, so die Professorin, Trigger-Warnungen für Jura-Vorlesungen zum Thema sexuelle Gewalt und rieten Studierenden, sich nicht zur Teilnahme an diesen Vorlesungen gedrängt zu fühlen.
Häufig würden außerdem einzelne Studierende die Dozenten bitten, die rechtliche Behandlung von Vergewaltigungen in Prüfungen nicht abzufragen. Ein Dozent sei sogar gebeten worden, das Wort “verletzen”, wie in “das Gesetz verletzen”, nicht im Unterricht zu benutzen. Es bestünde Trigger-Gefahr. Mehr als ein Dutzend Strafrechts-Dozenten hätten bereits geäußert, sie würden aus Angst vor den Beschwerden der Studenten das Thema Vergewaltigung in ihren Kursen nicht mehr behandeln. Da darf man sich durchaus fragen, wie unter solchen Bedingungen überhaupt kompetente Anwälte ausgebildet werden sollen.
Jobmensa-Fazit: Sensibilität für die emotionale Gesundheit der Studierenden darf an Universitäten durchaus gefordert werden. Natürlich sollte niemand gezwungen werden, sich im Filmseminar die blutigsten Schocker-Szenen aus “Hostel” auf der Großleinwand anzusehen. Doch Hochschulen sind Orte der Bildung, Forschung und des Wissensaustauschs. Eine Atmosphäre, in der Dozenten permanent fürchten müssen, von den eigenen Studenten an den Pranger gestellt zu werden, ist Gift für die akademische Lehre. Und führt im schlechtesten Fall dazu, dass um jegliche “schwere Kost” im Hörsaal künftig ein Bogen gemacht wird.
Bilder: Lolostock/shutterstock.com
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